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Hallo liebe Kunstfreunde,
auch wenn der Monat schon fast vorbei ist, möchte ich Ihnen, liebe Kunstfreunde, ein frohes neues Jahr 2013 wünschen; dazu Gesundheit, Zufriedenheit und nicht nachlassende Neugier auf das wichtigste Kulturgut, die Kunst. Was wären wir ohne Kunst, ohne Musik, ohne Literatur, ohne Film, ohne Malerei und Architektur, ohne Museen und Ausstellungen? Doch nur Bestreiter unseres meist banalen Alltags… Deshalb freue ich mich, dass Sie Ihr Radio heute wieder eingeschaltet haben, um die Kunststunde zuhören.
Die letzte Sendung gab es im November, und wir haben uns mit dem Maler Paul Cezanne beschäftigt, vor allem mit seiner Biografie. Die Darstellung seines Lebens hatte unsere Sendezeit voll in Anspruch genommen, und wir haben am Schluss festgestellt, dass wir eine weitere Sendung brauchen, um dem Werk dieses Ausnahmekünstlers halbwegs gerecht zu werden. Claude Monet meinte: „Ja, Cézanne, er ist der Größte von uns allen!“ Picasso gestand einmal, „er war für mich der einzige Meister …, er war eine Vaterfigur für uns: er war es, der uns Schutz bot…. Eine Art lieber Gott der Malerei.“ Solchen Enthusiasmus gibt es selten unter Konkurrenten, erst recht unter Künstlern, die oft genug dem Werk anderer mit Neid, Missgunst oder Eifersucht begegnen.
Die Bilder Cezannes hingegen wurden von den wichtigsten zeitgenössischen und nachfolgenden Malern anerkannt und geschätzt. Schon vor und erst recht nach Cézannes Tod im Jahr 1906 begann eine lebhafte Auseinandersetzung mit seinem Werk. Unter den jungen französischen Künstlern wurden zuerst Matisse und Derain von der Leidenschaft für Cézanne ergriffen, es folgten Picasso, Fernand Leger, Georges Braque, Marcel Duchamp und Piet Mondrian. Diese Begeisterung war dauerhaft; so äußerte noch der achtzigjährige Matisse im Jahre 1949, dass er der Kunst Cézannes am meisten verdanke. Die eben genannten Künstler bilden erst den Anfang einer Reihe von Künstlern, die sich von Cezanne inspirieren ließen. Die früh verstorbene Malerin Paula Modersohn-Becker , die aus der Künstlerkolonie Worpswede stammte und von der wir schon in einer Sendung gehört haben, hatte bereits 1900 beim Galeristen Vollard Gemälde von Cézannes gesehen, die sie tief beeindruckt hatten. Kurz vor ihrem Tod schrieb sie in einem Brief 1907 aus Worpswede an Clara Westhoff: „Ich denke und dachte diese Tage stark an Cézanne und wie das einer von den drei oder vier Malerkräften ist, der auf mich gewirkt hat wie ein Gewitter oder ein großes Ereignis.“ Paul Klee notierte 1909 in seinem Tagebuch: „Cézanne ist mir ein Lehrmeister par excellence“, nachdem er in München mehr als ein Dutzend Gemälde von Cézanne gesehen hatte. Die Künstlergruppe Der Blaue Reiter , über die wir schon eine Sendung gemacht haben, bezog sich 1912 in ihrem Almanach auf ihn, indem Franz Marc von der Geistesverwandtschaft zwischen El Greco und Cézanne berichtete, deren Werke er jeweils als Eingangspforten einer neuen Epoche der Malerei verstand. Wiederum bezieht sich Kandinsky, der Cézannes Gemälde auf der Retrospektive 1907 im Salon der Unabhängigen gesehen hatte, in seiner 1912 veröffentlichten Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ auf Cézanne, in dessen Werk er ein „starkes Mitklingen des Abstrakten“ erkannte und den spirituellen Anteil seiner Überzeugungen bei ihm vorgegeben fand. Max Beckmann sah in seiner 1912 erschienenen Schrift Gedanken über zeitgemäße und unzeitgemäße Kunst in Cézanne ein Genie, ebenso wie Franz Marc. El Lissitzky betonte um 1923 seine Bedeutung für die Russische Avantgarde, und Lenin regte 1918 gar an, für die Heroen der Weltrevolution Denkmäler zu errichten; auf der Ehrenliste standen Courbet und Cézanne. Neben Matisse beschäftigte sich Alberto Giacometti am eingehendsten mit Cézannes Darstellungsweise. Doch auch für Künstler der neueren Generation ist Cézanne eine wichtige Instanz. So bezeichnete Jasper Johns ihn neben Duchamp und Leonardo da Vinci als wichtigstes Vorbild. Der deutsche Gegenwartsmaler A.R. Penck wiederum wies auf die konzeptionellen Errungenschaften Cézannes hin und betonte, „Mit Cézanne fängt das an, was wir heute Untergrund nennen. Die Behauptung eines eigenen Raumes und einer eigenen Zielvorstellung gegen die herrschende Tendenz der Zeit“. Der Däne Per Kirkeby äußerte 1989 in der Beschäftigung mit Cézannes Werken, dass hier einer sein „Künstlerleben als Pfand gegeben hat für etwas, das das meiste, womit wir uns üblicherweise beschäftigen, als ängstliche Originalitätssucht und Oberflächlichkeit erscheinen läßt“. Nun, diesem Satz kann ich nur zustimmen, wenn ich mir die vielen Ergüsse der heutigen Gegenwartskunst ansehe. Originalitätssucht und Oberflächlichkeit, wohin man sieht; selten war der künstlerische Zeitgeist trivialer als heute.
Aber es waren nicht nur Maler, die vom Werk Cezanne beeindruckt waren: „Wenn ich mich erinnere, wie befremdet und unsicher man die ersten Sachen sah“,schrieb Rainer Maria Rilke an seine Frau nach der Besichtigung der großen Cézanne-Retrospektive im Pariser Salon der Unabhängigen von 1907, auf die ihn Paula Modersohn-Becker aufmerksam gemacht hatte: „[…] lange nichts und plötzlich hat man die richtigen Augen.“ Rilke machte mit dieser Aussage sein großes Interesse an der Malerei deutlich, von der er sich Lösungen für seine schriftstellerischen Probleme erhoffte: „Es ist gar nicht die Malerei, die ich studiere […]. Es ist die Wendung in dieser Malerei, die ich erkannte, weil ich sie selbst eben in meiner Arbeit erreicht hatte.“ Bei Cézanne sah er, wie die „Stimmungsmalerei“ überwunden werden konnte. Dies entsprach seiner Auffassung vom Dichten, die in den Neuen Gedichten schon umgesetzt wurde. Peter Handke resümiert in einem im Jahr 1980 erschienenen Buch:„Ja, dem Maler Paul Cézanne verdanke ich es, dass ich an jener freien Stelle zwischen Aix-en-Provence und dem Dorf Le Tholonet in den Farben stand und sogar die asphaltierte Straße mir als Farbsubstanz erschien […].“ Und er fährt fort: „[…] so habe ich [Bilder] wohl von Anfang an als bloßes Zubehör gesehen und mir von ihnen lange nichts Entscheidendes erwartet.“ Eben, da ergeht es Handtke wie den meisten Zeitgenossen: Man sieht Bilder und nimmt sie nicht wahr. Aber man muss genau schauen um zu begreifen, nicht nur gucken.
Auf dem Kunstmarkt werden Werke Cezannes – sofern sie überhaupt noch zu einer Versteigerung gelangen - für hunderte Millionen Dollar gehandelt. Aquarelle erzielten 15-25 Millionen Dollar. Nun ja, der Kunstmarkt… Verrückt wie immer, aber manchmal bildet er einen Grad von Bedeutung auch ganz gut ab, jedenfalls bei den Klassikern…
Eine Bedeutung postum, denn wenn wir uns an die letzte Sendung erinnern, an den schwierigen Lebensweg Cezannes, dann erinnern wir uns auch an die Ablehnung und beißende Kritik, die er zu Lebzeiten erfuhr. Ohne den Farbenhändler Tanguy, der Werke von ihm kaufte, ohne den mutigen Galeristen Ambroise Vollard, der ihn ausstellte, ohne den Maler Camille Pissarro, der sein wichtigster Mentor war, ohne diese Unterstützer wäre sein Werk vielleicht vernichtet, in alle Winde verstreut worden oder einfach unbekannt geblieben. Solch ein Schicksal ist die Regel, liebe Kunstfreunde. Auf jeden bekannten Maler kommen Hunderte, die vielleicht genauso bedeutsam sein müssten, aber es nie werden. Der richtige Ort, die richtige Zeit, die vom Zeitgeist unvorhersehbare und doch eingeschlagene Richtung, die richtigen Leute – Talent, Tiefe der Gedanken und Einzigartigkeit der Mittel – all das muss zusammentreffen, um zur Ausnahme von der Regel zu werden. Cezanne hatte das Glück, einen mutigen Galeristen zu treffen, der ihn verstand und förderte und einen Kunstkritiker namens Gustave Geffroy, der Cézannes Werk zu Lebzeiten gerecht und vorbehaltlos beurteilte, während es andere Kritiker in der Luft zerrissen. Geffroy war ein Betrachter aus der schreibenden Zunft, der Weitblick bewies. „Er (Cezanne)ist ein großer Wahrheitsfanatiker, feurig und naiv, herb und nuanciert. Er wird in den Louvre kommen.“
Schauen wir uns also das Werk und die Malweise Cezannes an:
Seine Malerei hat sich im Laufe seines Lebens immer wieder verändert; nur seine Leidenschaft war allgegenwärtig. Paul Cezanne fängt zunächst an, im Stil der Romantik zu malen. In den Anfängen seiner Technik benutzte er einen großen runden Haarpinsel, er trug Farbtöne auf eine dunkle grundierte Leinwand auf, die vom Hellen zum Dunkeln übergehen. In den düsteren Tönen zeigt sich die innere Ruhelosigkeit des Künstlers schon in seinen Anfängen. Bis zu den 1870ger Jahren erinnern seine Bilder stark an die Malweise der alten Meister. Seine Gemälde sind gekennzeichnet durch einen dicken Farbauftrag, kontrastreiche, dunkle Töne mit ausgeprägten Schatten, die Verwendung von reinem Schwarz und anderen mit Schwarz vermischten Farbtönen, braun, grau sowie preußisch-blau; gelegentlich kommen einige weiße Tupfen oder grüne und rote Pinselstriche zum Aufhellen hinzu, welche die monochrome Eintönigkeit beleben. Neben Landschaften, Portraits der Familienmitglieder und Stillleben malte er auch Szenen aus der griechischen Mythologie oder literarische Themen; schließlich war er ein gebildeter Mensch. Noch ist sein Stil unsicher und unruhig. Er kopiert viele Bilder, zeichnet Skizzen, malt in Öl und Aquarell. Im Laufe der Zeit werden Landschaften und Stillleben immer wichtiger. Es sind keine neuen Themen, aber im Vordergrund steht für ihn auch nicht, was er malt, sondern wie er malt.
Ab den 70ger Jahren dann, unter dem Einfluss der Impressionisten Camille Pissaro und Èduard Manet, gab er seine dunkle Malweise auf und benutzte nun eine rein auf den Grundtönen, Gelb, Rot und Blau, basierende Farbpalette. Gleichzeitig löste er sich von seiner Technik des schweren, oft überladen wirkenden Farbauftrags und übernahm die lockere, aus nebeneinander gesetzten Pinselstrichen bestehende Maltechnik seiner Vorbilder. Durch Pissarros Anraten setzte Cezanne die Farbe jetzt nicht mehr mit dem Messer oder einem breiten Pinsel auf die Leinwand, sondern strukturierte die Bildfläche durch parallele, kleine, kontrolliert gesetzte Striche.
Und dennoch – das Flirrende der impressionistischen Bilder, ihre unmittelbare Heiterkeit und Flüchtigkeit, das rein Atmosphärische, stellten ihn nicht zufrieden. Er wollte trotz der impressionistischen Malweise seinen Werken mehr Beständigkeit verleihen, eine Wirkung über den Moment hinaus. Das Wesen einer Landschaft oder eines anderen Motivs für immer einfangen, gleichzeitig seiner eigenen Emotion durch Farbe und Duktus nachspüren und sie bewahren. Er zeigt eine starke Liebe zur Natur; Formen und Farben und ihre Beziehungen sind für ihn die Sprache, diese Gefühle auszudrücken, die die Natur in ihm erweckt. Dabei verzichtet er nicht auf den typischen, kurzen und bruchstückhaften Duktus, wie ihn die Impressionisten zu setzen pflegten - aber er verleiht ihm neue Eigenschaften, nämlich Richtung und Tiefe und damit Dreidimensionalität und Form. Er gruppiert Pinselstriche in unzähligen verschiedenen Farbtönen dicht nebeneinander und schafft - allein durch diese aneinander gereihten Farbflächen – einen Raum. Räumlichkeit schaffen durch den Aufbau von farbigen Flächen. Eine Ebene, die Leinwand, konnte so eine Bildtiefe darstellen, die neu war und die nichts mit der bekannten Farbperspektive zu tun hatte, denn die Farben von Gegenstand und z.B. Hintergrund waren dieselben. (Bei der Farbperspektive entsteht eine räumliche Tiefe ja dadurch, dass die Farben im Hintergrund, in der Ferne, blasser werden, zum Horizont hin heller). Bei Cezanne wurden die einzelnen Bildebenen jedoch farblich zu einer Einheit zusammengefasst. Vordergrund und Hintergrund unterscheiden sich nicht. Dadurch erstarren die Landschaften, werden ewig trotz einer großen Dynamik des Duktus. Wild und lebendig sind die Bilder, auf den ersten Blick – aber sie strahlen auch eine große Harmonie aus und verweisen auf das Wesen einer Natur an sich… Mit dem farbigen Pinselstrich arbeitete Cezanne die Gegenstände heraus, genauer gesagt, ihre Flächen. Und diese oft aus verschiedenen Blickwinkeln. (Dies wird später durch die Kubisten aufgegriffen, wir haben in unserer Sendung im September davon gehört.) Die Gegenstände entstehen ausschließlich durch die Farbe, nicht durch Zeichnung. „Man darf die Zeichnung nicht von der Farbe trennen... Im selben Grad wie man malt, zeichnet man. Wenn die Farbe ihren ganzen Reichtum entfaltet, dann zeigt auch die Form die größte Fülle. Die Kontraste und Übereinstimmungen der Farbtöne: darin liegt das Geheimnis der Zeichnung und Modellierung.“ Cezanne definiert Licht und Schatten, Volumen, Raumtiefe und Flächen durch Farbtöne, durch Kontraste, durch Farbübergänge:
Die Geometrie der Gegenstände und Hintergründe vereinfachten sich zunehmend zu erkennbaren Grundformen und verschmelzen miteinander.
Dieser Versuch, dem impressionistischen Pinselstrich Rauminhalt und Form zu verleihen, machen die Einzigartigkeit in Cézannes Stil jener Jahre aus.
In der Provence, wo Cézanne ab 1883 vorwiegend lebte, löste er sich mehr und mehr von der impressionistischen Malweise. Die schrille Atmosphäre der Großstadt konnte Cezanne nichts geben, da sie ganz auf das Momentane und den Augenblick ausgerichtet ist. In der Provence hingegen fand er die Bildmotive, die er auf seiner Suche nach Beständigkeit brauchte. Denn die Landschaft z. B. wechselt ihr Kleid im Laufe der Jahreszeiten nur wenig, die Vegetation ändert sich kaum.
Die Gesamtkomposition eines Bildes wurde ihm immer wichtiger. Seine Ausgewogenheit. Ein flächiger, diagonaler Farbauftrag statt einer Perspektive, um Bildtiefe zu erzeugen. In einem Brief an seinen Freund Joachim Gasquet schrieb er: „Die farbigen Flächen, immer die Flächen! Der farbige Ort, wo die Seele der Flächen bebt, die prismatische Wärme, die Begegnung der Flächen im Sonnenlicht. Ich entwerfe meine Flächen mit meinen Farbabstufungen auf der Palette, verstehen Sie mich! […] Die Flächen müssen deutlich in Erscheinung treten. Deutlich […] aber sie müssen richtig verteilt sein, ineinander übergehen. Alles muss zusammenspielen und doch wieder Kontraste bilden. Auf die Volumen allein kommt es an!“
Ab den 80er Jahren entwickelt Cézanne seine ganzheitliche Darstellung des Motivs durch kompakte Farbblöcke weiter. Seine Technik wird ausgefeilter: Er stellt Farbtöne so zusammen, dass sie geometrische Formen ergeben und gleichzeitig den Eindruck von Dreidimensionalität erwecken. Er schrieb in seinem häufig zitierten Brief vom 15. April 1904 an den Maler und Kunsttheoretiker Emile Bernard: „Man behandle die Natur gemäß Zylinder, Kugel und Kegel und bringe das Ganze in die richtige Perspektive, so daß jede Seite eines Objektes, einer Fläche nach einem zentralen Punkt führt […].“ Cezanne ersetzt in seinen Bildern die optische Wirklichkeit durch eine formale Struktur, durch eine reine Bildfläche. Er spielt dabei mit geometrischen Formen und reduziert die Gegenstände fast auf Grundformen wie Kreis, Kubus und Zylinder. Durch dieses Verfahren, die Gegenstände zu abstrahieren, eröffneten sich später neue Perspektiven, ein Bild zu betrachten. Insbesondere Georges Braque und Pablo Picasso ließen sich von dieser Technik inspirieren und entwickelten auf dieser Grundlage den Kubismus.
Die Stillleben, die Cézanne schon ab den späten 1880er Jahren malte, sind ein weiterer Schwerpunkt seines Werks. Er verzichtete auf die linearperspektivische Wiedergabe der Motive und stellte sie stattdessen in den für ihn kompositorisch sinnvollen Dimensionen dar; so kann beispielsweise eine Birne überdimensional groß sein, um das innerbildliche Gleichgewicht und eine spannungsreiche Komposition zu erreichen. Er baute seine Arrangements im Atelier auf. Neben den Früchten sind es Krüge, Töpfe und Teller, gelegentlich eine Putte (kleiner Gipsengel), oft umgeben von einem weißen, gebauschten Tischtuch, das dem Sujet barocke Fülle verleiht. Nicht die Gegenstände sollen Aufmerksamkeit erregen, sondern die Anordnung der Formen und Farben auf der Fläche.
Wie geht Cezanne rein handwerklich dabei vor?
Cézanne verteilt über die Leinwand einzelne Farbtupfer. Aus ihnen werden sich nach und nach Form und Volumen des Gegenstands aufbauen. Die Komposition entwickelte sich weiter, indem er ein Gleichgewicht der Farbflecken auf der Leinwand herstellt. Dies Gleichgewicht zu erreichen, erfordert eine langsame Arbeitsweise, sodass Cézanne an einem Gemälde oft lange Zeit arbeitete. Bei etlichen Bildern lässt sich nicht klären, wann genau sie entstanden sind, weil er an manchen Bildern monate- wenn nicht jahrelang arbeitete, bis er mit dem Ergebnis zufrieden war. Cezanne hat viele seiner Bilder als unvollendet betrachtet, denn Malen war für ihn ein unaufhörlicher Prozess.
Cézanne schuf etwa 140 Gemälde und Skizzen zum Thema der Badeszenen. Hier findet sich seine Verehrung für die klassische Malerei wieder, die idyllisch Mensch und Natur in Harmonie zu vereinigen sucht. Cézanne ging es aber um die Komposition und das Zusammenspiel von Formen und Farben, von Natur und Figuren. Für seine Gemälde in dieser Zeit benutzte er als Vorlage Skizzen und Fotografien, da ihm die Gegenwart nackter Modelle nicht behagte. Auf diesen Bildern malt er die Menschen in unrealistischen Proportionen und Formen. Sie bewegen sich nicht und Ihnen fehlt jede Individualität. Zusammen mit der Natur sind Sie reine Objekte. Paul Cezanne geht es immer um die Komposition und das Zusammenspiel von Formen und Farben, von Natur und Figuren. Um Harmonie. „Malen heißt nicht, den Gegenstand sklavisch kopieren; Malen heißt eine Harmonie zwischen zahlreichen Verhältnissen erfassen, sie in eine eigene Farbskala übertragen, indem man sie nach einer neuen und originellen Logik entwickelt.“
Die Gegend um Aix en Provence und vor allem der Berg Montagne Sainte-Victoire zählt zum wichtigsten Themenkreis der späten Jahre. Cezanne ist fast besessen von seinem Berg. Er malt ihn immer wieder, um ihn gleichsam wiederzuerschaffen, in sein inneres Wesen einzudringen, sich „seiner Seele zu bemächtigen“ und auf der Leinwand zu verewigen. Vor allem die acht Gemälde, die nach der Jahrhundertwende entstehen, zeigen, wie souverän Cezanne seine Farb- und Maltechnik nun beherrscht. Sie sind die Quintessenz seines Wirkens.
Eine genaue Naturbeobachtung war Voraussetzung für Cézannes: „Um eine Landschaft richtig zu malen, muß ich auch zuerst die geologische Schichtung erkennen.“ Insgesamt malte er mehr als 30 Ölbilder sowie 45 Aquarelle des Gebirges, und er war stets darauf bedacht, auf seinen Bildern „Konstruktionen und Harmonien parallel zur Natur“ zu finden. Also: Nicht die Natur abbilden, sondern sie mit Farbe, Struktur und Duktus neu aber wesensgerecht komponieren. So wird in seiner Bildauffassung selbst ein Berg als eine Übereinanderschichtung von Formen, Räumen und Strukturen aufgefasst, die sich über dem Boden erheben. Seine Motive entstehen mit und aus der Farbe. Es ist ein Schaffensprozess, der die Natur neu „realisiert“. Cezanne ist sich bewusst, dass er durch das Malen das Naturbild verändern muss, um es festhalten. „Die Natur ist immer dieselbe, aber von ihrer sichtbaren Erscheinung bleibt nichts bestehen. Unsere Kunst muss ihr das Erhabene der Dauer geben …“ Und an anderer Stelle sagt er: „Wenn das starke Gefühl für die Natur - und ich liebe sie gewiss - notwendige Grundlage aller künstlerischen Konzeption ist, … so ist doch die Kenntnis der Ausdrucksmittel unserer Empfindung nicht weniger wesentlich und lässt sich nur durch eine sehr lange Erfahrung erwerben.“ Cézanne entwickelt farbige Nuancen, die die Konturen der „Dinge“ aufheben. Durch die Farben und ihre neuartige Komposition, ihre Struktur, wird eine Bildordnung geschaffen, die Natur „verewigen“ kann. Cezanne will die Natur nicht abbilden, wie sie in einem Augenblick ist, sondern er will sie als Wesensding erfassen. Und er will seine Empfindungen vor dieser Natur ausdrücken. Konstruktion und Harmonie parallel zur Natur… das macht Landschaftsmalerei aus.
Wie für die Antike und die alten Meister ist für Cézanne die Grundlage der Malerei das Zeichnen, die Voraussetzung aller Arbeit aber die Unterordnung unter den Gegenstand, bzw. das Auge oder das reine Schauen. Cézanne als Methodiker der Farbe hat neben Ölbildern und Aquarellen ein umfangreiches Werk von mehr als 1200 Zeichnungen hinterlassen Sie bilden das Arbeitsmaterial für seine Werke und zeigen Detailskizzen, Beobachtungsnotizen und Nachzeichnungen. Warum ist das Zeichnen für ihn so wichtig? Weil es ein Akt des Versinkens in einen Malzustand ist: „Das ganze Wollen des Malers muss schweigen. Er soll in sich verstummen lassen alle Stimmen der Voreingenommenheit. Vergessen! Vergessen! Stille schaffen! Ein vollkommenes Echo sein. […] Die Landschaft spiegelt sich, vermenschlicht sich, denkt sich in mir. […] Ich steige mit ihr zu den Wurzeln der Welt. Wir keimen. Eine zärtliche Erregung ergreift mich und aus den Wurzeln dieser Erregung steigt dann der Saft, die Farbe. … Ich sehe! […] Um das zu malen muss dann das Handwerk einsetzen, aber ein demütiges Handwerk, das gehorcht und bereit ist, unbewusst zu übertragen.“
Cezanne nutzte bestimmte Begriffe, wenn er sein malerisches Verfahren beschrieb.
- Da ist zunächst das „Motiv“, mit dem er nicht nur den gegenständlichen Begriff des Bildes meinte, sondern ebenfalls die Motivation für seine unermüdliche Arbeit des Beobachtens und Malens. […] Aller sur le motif, wie er seinen Gang zur Arbeit nannte, bedeutete demnach, in eine Beziehung zu einem äußeren Objekt zu treten, das den Künstler innerlich bewegt und das es bildnerisch umzusetzen gilt.
- Sensation (Empfindung), ist ein weiterer Schlüsselbegriff in Cézannes Vokabular. Zunächst meinte er die visuelle Wahrnehmung im Sinne der „Impression“, also ein vom Objekt ausgehender optischer Sinnesreiz. Zugleich umfasst er die Emotion als psychische Reaktion auf das Wahrgenommene. Ausdrücklich stellte Cézanne nicht das darzustellende Objekt, sondern die sensation in den Mittelpunkt seiner malerischen Bemühungen: „Nach der Natur malen bedeutet nicht den Gegenstand kopieren, es bedeutet seine Empfindungen zu realisieren.“ Das Medium, das zwischen den Dingen und den Empfindungen vermittelte, war die Farbe, wobei Cézanne offen ließ, wie weit sie den Dingen entspringt oder aber eine Abstraktion seines Sehens ist.
- Mit dem dritten Begriff réalisation bezeichnete Cézanne die eigentliche malerische Aktivität, vor dessen Scheitern er sich bis zuletzt fürchtete […]. Zu „realisieren“ galt es mehreres zugleich: zunächst das Motiv in seiner Vielfalt, des Weiteren die Empfindungen, die das Motiv in ihm auslöste, und schließlich das Gemälde selbst, dessen Verwirklichung die anderen „Realisierungen“ ans Licht bringen konnte. „Malen“ hieß demnach, jene gegenläufigen Bewegungen des Aufnehmens und Abgebens, der „Impression“ und der „Expression“ in einer einzigen Geste ineinander aufgehen zu lassen.
Die „Realisierung in der Kunst“ wurde zu einem Schlüsselbegriff in Cézannes Denken und Handeln.
Émile Bernard schrieb über Cézannes ungewöhnliche Arbeitsweise: „Er begann mit den Schattenteilen und mit einem Fleck, auf den er einen zweiten, größeren setzte, dann einen dritten, bis alle diese Farbtöne, einander deckend, mit ihrem Kolorit den Gegenstand modellierten. Da begriff ich, dass ein Harmoniegesetz seine Arbeit leitete und dass diese Modulationen eine im Voraus in seinem Verstand festgesetzte Richtung hatten.“ In dieser vorherbestimmten Richtung liegt für Cézanne das eigentliche Geheimnis der Malerei, nämlich der Zusammenhang von Harmonie und der Illusion der Tiefe, sprich Räumlichkeit. Gegenüber dem Sammler Karl Ernst Osthaus betonte Cézanne am 13. April 1906 bei dessen Besuch in Aix: Die Farbe müsse jeden Sprung ins Tiefe ausdrücken. Daran erkenne man das Können des Malers. Und an anderer Stelle sagte Cezanne: „ Die Natur ist nicht an der Oberfläche, sie ist in der Tiefe. Die Farben sind der Ausdruck dieser Tiefe an der Oberfläche. Sie steigen aus den Wurzeln der Welt auf.“
Liebe Kunstfreunde, wir wissen und erinnern uns: Cézanne hatte es schwer. Er war voller Selbstzweifel – aber das galt eher seiner Person als seinem Vorhaben. Wie sonst kann ein Zweifelnder von sich behaupten: "Ich bin der Wegbereiter einer neuen Kunst. Und mein Werk wird fortgesetzt werden, das spüre ich."
Er sollte Recht behalten. Kaum ein anderer erschütterte die Grundfesten der Kunst des 19. Jahrhundert so nachhaltig wie der Franzose Paul Cézanne. Er gilt neben Vincent van Gogh als bedeutenster Vorläufer der modernen Kunst.
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